Mutter M. Clara Pfänder
Was steckt hinter diesen Lebensdaten? Der Weg von Mutter M. Clara – offensichtlich nicht geradlinig verlaufen – ist im Rückblick eindrucksvoll und überraschend. Die Lebensgeschichte ist nicht nur eine persönliche, dramatische und spannende Geschichte und Teil der Kongregationsgeschichte, sondern gleichzeitig Bistums- und Kirchengeschichte. Jahrzehnte lag über ihr und damit über ihrer Kongregation ein geheimnisvolles undurchdringliches Dunkel, dem man sich nicht gern näherte. Hatte sie sich nicht durch ihr Verhalten gegen die Geistlichkeit und die Kirche gestellt?
Die Schwestern der Kongregation durften einerseits nicht über sie sprechen, andererseits wurde ihnen so viel wie nichts über sie vermittelt. Wer ist nun diese Frau? Wie ist Licht in dieses Dunkel gekommen?
Mutter M. Clara, eine Frau mit hohen Geistesgaben ausgestattet, wird am 6. Dezember 1827 als Theresia Pfänder in Hallenberg, Sauerland, als erstes Kind einer tieffrommen katholischen Mutter und eines protestantischen Vaters, der von den Preußen als Bürgermeister in Hallenberg eingesetzt ist, geboren; drei Tage später wird sie in der Pfarrkirche St. Heribert getauft. Die Mutter, die sie schon mit fünf Jahren verliert, hat in ihr ein tiefes Glaubensleben grundgelegt. Als nach dem Tod der Stiefmutter der Vater noch einmal heiratet, fällt Theresia die Aufgabe der Miterziehung ihrer vielen Geschwister zu; dies fördert ihre pädagogische Begabung. Gleichzeitig unterstützt sie ihren Vater als Sekretärin im Amt des Bürgermeisters.
Mutter M. Clara Pfänder
Auf ihrem Lebensweg, den sie als Hörende geht, gibt es markante Wegkreuzungen. Als 12Jährige bekennt sie sich – trotz des Widerspruchs ihres Vaters – entschieden zum katholischen Glauben und empfängt am 24. Mai die erste heilige Kommunion; sie entscheidet sich an diesem Tag, ihr Leben ganz Gott zu weihen. Geduldig wartet sie auf die Zustimmung ihres protestantischen Vaters zu diesem Schritt: Während der siebenjährigen Weiterbildung im Pfarrhaus in Züschen – unter der Begleitung von Pfarrer Anton Löser – kann sie reiche Erfahrungen sammeln, die ihr für ihr ganzes Leben zu Gute kommen.
Im Amtshaus in Hallenberg wurde Theresia Pfänder geboren.
Am 4. Juli 1850 tritt sie in die Gemeinschaft der Schwestern der Christlichen Liebe ein, die Mutter Pauline von Mallinckrodt ein Jahr zuvor mit drei Gefährtinnen gründete. Am 4. November wird sie in der Busdorfkirche als einzige Postulantin eingekleidet und erhält den Namen „Schwester Clara“. Die ersten neun Jahre sind eine glückliche Zeit, in der sie auch das Lehrerinnen-Examen ablegt. Ihr Weg scheint in vorgezeichneten Bahnen zu verlaufen, doch es treten innere Unruhen und Zweifel auf, ob sie am rechten Platz sei. Sie sucht nach einer strengeren Lebensweise, um das kontemplative und aktive Leben besser miteinander zu verbinden. In beispielhafter, liebevoller Weise steht Mutter Pauline ihr zur Seite und lässt sie den Weg gehen, auf den der Herr sie führen will. – Bischof Konrad Martin von Paderborn, dem Sr. Clara im Mutterhaus der Schwestern der Christlichen Liebe immer wieder begegnet, ist ihr behilflich, den neuen Weg in gehbare Schritte zu lenken. Nach dem Verlassen der Schwestern der Christlichen Liebe am 23. September 1859 lässt sie sich zunächst bei den Franziskanerbrüdern in Paderborn in den Säkularen Dritten Orden des hl. Franziskus aufnehmen, damit setzt sie den Fuß in die Franziskanische Familie.
Die Anfänge der neuen Kongregation in Olpe sind hart, und Mutter M. Clara setzt ihr ganzes Vertrauen auf Gottes Göttliche Vorsehung. Als Test-Prüfung ihres Standvermögens erweist sich die Verlegung des Mutterhauses von Olpe nach Salzkotten, die nach gut drei Jahren notwendig wird. Und wie schmerzlich erfährt sie die baldige Absonderung der in Olpe zurückgebliebenen kleinen Kommunität!
Nach und nach und inmitten von allem fasst die „verpflanzte Kongregation“ Fuß in Salzkotten; sie erfreut sich eines großen Zulaufs junger interessierter Frauen und einer schnellen Ausbreitung in deutschen Landen. Doch bald gerät sie in die Wirren des Kulturkampfes: Verbote gegen die Lehrtätigkeit, gegen die Aufnahme von Postulantinnen und die Entgegennahme von Gelübden scheinen den Weg der Entwicklung zu blockieren. In Bezug auf ordensinterne Befugnisse erwirkt Mutter M. Clara vom Bischof Konrad Martin am 9. Januar 1875 im Gefängnis eine Geheimvollmacht unter absoluter Schweigepflicht. Der Gebrauch dieser Vollmacht wird zur Hauptursache für die Zerwürfnisse mit Superior Klein und der Paderborner Geistlichkeit, die 1880 zu Mutter M. Claras gezwungener Abdankung führen.
Pauline von Mallinckrodt gründete die Gemeinschaft
der Schwestern der Christlichen Liebe. Foto: sccp
Bei ihrem Fortgang spricht sie das prophetische Wort „Ich muss untergehen, aber das Werk wird bestehen“ und geht zunächst nach Metz, dann in Begleitung einer Schwester nach Rom. Ohne Verbitterung versucht sie, bei kirchlichen Behörden und Vertretern des Vatikans ihre Situation zu klären, wird aber nicht zugelassen. Der Rektor des Campo Santo Teutonico, Anton de Waal, hilft ihr, geistlich und materiell zu überleben. Die Dornen auf ihrem Lebensweg geben nicht nach, doch sie stirbt im Frieden, nach kurzer Krankheit, am frühen Morgen des 5. Oktober 1882, unmittelbar nach dem Franziskusfest mit den Worten: „Komm, heiliger Franziskus, ich bin bereit.“ Nach einem Leben als Hörende und Gehende stirbt sie in völliger Besitzlosigkeit und wird beigesetzt in einem Armengrab auf dem Campo Verano in Rom. – Auf ihrem Weg in die Freiheit lässt sie alles hinter sich, was den Menschen wichtig ist: Heimat, Familie, das tägliche Brot, den Wirkungskreis, menschliche Ehre und Dankbarkeit. Der Ruf Gottes zur allmählichen Hingabe ihres Lebens hat bei ihr Gehör gefunden. – In einer ausweglosen Situation antwortet sie einer Schwester, die sie nicht verstehen kann:
„Unsere Wege sind Geheimnisse der Göttlichen Vorsehung, die uns nach ihrem Willen führt, auch wenn wir es nicht verstehen. Die Sonne bleibt oben und bringt wieder Licht in diese Finsternis.“
Hauptpforte des Mutterhauses in Salzkotten heute.
Für die Gemeinschaft bleibt die Gründerin auch nach ihrem Heimgang im Dunkel. – Als dem Dechanten Schunck von Salzkotten im Jahre 1912 die Existenz der Geheimvollmacht des Bischofs Konrad Martin glaubhaft nachgewiesen wird, ruft dieser erschüttert aus: „Dann haben wir ihr alle Unrecht getan, dann hat sie sündlos gehandelt.“ So wird am Fest Kreuz-Erhöhung das Bild von Mutter M. Clara im Mutterhaus wieder zu Ehren gebracht… Doch der schriftliche Beweis der Vollmacht fehlt… und das Dunkel setzt sich weiter fort.
Die jahrzehntelange Suche nach historischen Spuren – bis in unsere Zeit hinein – hat dazu gedient, das Dunkel zu erhellen und der Wahrheit und dem Lebensgeheimnis von Mutter M. Clara Pfänder soweit wie möglich nahezukommen, die sich zeitlebens von dem Gedanken leiten ließ: „Ich will heilig werden, koste es was es wolle!“ So kommt im Jahre 1977 „Licht in die Finsternis“, als im Archiv des Kollegs am Campo Santo Teutonico Mutter M. Claras schriftlicher Nachlass – zusammen mit der Geheimvollmacht des Bischofs – aufgefunden wird. Sr. M. Aristilde Flake gibt im Jahre 1982 aufgrund dieser Dokumente und weiterer Forschungen eine Biographie über die Gründerin heraus mit dem Titel
„Licht in die Finsternis“.
Die Autorin endet mit dem Hinweis, dass zur Klärung kirchenrechtlicher Fragen weitere Forschungen notwendig sind. Dieses Anliegen kann Sr. M. Carola Thomann – unter der kompetenten Begleitung von Herrn Prof. Dr. Rüdiger Althaus – nach weiteren intensiven Archiv-Recherchen in den Jahren 2013-2016 erfüllen. In der von ihr erstellten Dokumentation erscheint das Handeln der Gründerin in einem neuen Licht und rehabilitiert sie. Daraus entsteht das Buch
„Die Sonne bleibt oben“.
Die Sonne ist oben geblieben, das Werk wird weiter fortgesetzt. Doch wie konnte die Gemeinschaft über all die Jahre ohne die Gründerin „überleben“? Frau Dr. Gisela Fleckenstein OFS sagt dazu in ihrer Buch-Rezension: Der Grund dafür liegt in dem geistlichen Erbe und der Spiritualität Mutter M. Claras; der tiefe Einblick, den das Buch hierin gewährt, macht es sehr deutlich! Und Mutter M. Clara selbst steht vor uns wie ein
„Licht aus der Finsternis“.
Buchhinweis:
M. Carola Thomann fcjm
„Die Sonne bleibt oben“, 2018
EOS Verlag Sankt Ottilien, ISBN 978-3-8306-7880-9.
Gedenkort für Mutter M. Clara auf dem Zentralfriedhof
Campo Verano in Rom.
Rehabilitation – Ehrungen:
Nach dem Auffinden der Dokumente Mutter M. Claras im Archiv des Kollegs am Campo Santo Teutonico wird an der Kirchenwand – während des Generalkapitels – eine Gedenktafel enthüllt. Prof. Dr. Gatz, der derzeitige Rektor des Kollegs, unterstreicht, dass es würdig und recht sei, Mutter M. Clara an diesem Ort zu ehren, an dem viele der ersten Christen den Märtyrertod gestorben sind; sie hätte ein besonderes Martyrium erlitten. Die Tafel befindet sich in unmittelbarer Nähe der 1. Kreuzwegstation.
Im Neubaugebiet Papenbrede in Salzkotten wird eine Straße nach
der Grüanderin benannt: Clara-Pfänder-Strasse
An dem Haus in der Via Sistina 149, in dem Mutter M. Clara zweimal gelebt hat und gestorben ist, wird – wiederum während eines Generalkapitels – neben dem Hauseingang eine Gedenktafel angebracht: Zwei Jahre zuvor, rechtzeitig zum Anlass des 125. Todestages der Gründerin, war es gelungen, Zutritt zu diesem Haus zu bekommen und die Räumlichkeiten zu betreten, wo die Gründerin gelebt hat und gestorben ist.
Gedenktafel am Haus der Via Sistina 149 in Rom, dem Haus, in dem Mutter M. Clara am 5. Oktober 1882 starb.
Nach der Forschungsarbeit, die Licht in die Finsternis gebracht hat, erkennt Herr Erzbischof Hans-Josef Becker von Paderborn das große Unrecht an, das Mutter M. Clara seitens der Kirche angetan wurde und erklärt bei seiner Ansprache während des Festgottesdienstes in Hohem Dom zu Paderborn am 18. Februar d. J., dass die Erzdiözese etwas gutzumachen habe; er segnet eine Büste und eine Gedenktafel [gestaltet von dem Künstler Karl-Heinz Oswald] in der Engelkapelle: Hier hat die Gründerin nun einen Ehrenplatz an der Seite des Grabmales von Bischof Konrad Martin und dem Gedenken an Mutter Pauline von Mallinckrodt sowie von Mutter Theresia Bonzel. – Der Erzbischof schreibt außerdem ein bewegendes Geleitwort für das Buch „Die Sonne bleibt oben“.
Erzbischof Hans-Josef Becker segnet eine Büste und eine Gedenktafel [gestaltet von dem Künstler Karl-Heinz Oswald] in der Engelkapelle im Hohen Dom zu Paderborn.
Nach dieser Feier werden ebenso im Foyer des Mutterhauses in Salzkotten eine Büste sowie eine Gedenktafel gesegnet. So ist Mutter M. Clara an diesem Tag ihrer Rehabilitierung auch ins Mutterhaus zurückgekehrt.
Prof. Dr. Rüdiger Althaus segnet die Büste von Mutter M. Clara und eine Gedenktafel im Mutterhaus in Salzkotten.
Die Schwestern der Kongregation beschließen bei der Plenarratssitzung, künftig jedes Jahr den 18. Februar als einen Tag des Dankes zu begehen.
Im Zuge der Neugestaltung des Mutterhausfriedhofs wird eine Stele im Gedenken an Mutter M. Clara errichtet und am 18. Februar im Beisein von vielen Schwestern gesegnet. Die Stele trägt das für die Gründerin so passende Wort aus dem Propheten Daniel 12,3:
„Die viele in Gerechtigkeit unterwiesen haben,
werden leuchten wie die Sterne des Himmels.“
Pater Klaus Scheppe OFM segnet die Gedenk-Stele und bemerkt, dass Mutter M. Clara damit sozusagen von Rom zu ihren Schwestern zurückkehrt.